Positionspapier

Das 112. bundesweite Positiventreffen in der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen vom 26. – 29. 1. 2006 hat folgende Erklärung verabschiedet.

Die laufende Debatte über Bareback geht an den Lebensrealitäten vorbei und zielt nicht auf eine Verminderung von Neuinfektionen sondern ist ein Beitrag, Politik - unabhängig von der Sinnhaftigkeit - nur noch symbolisch zu gestalten.

Sie ist diskriminierend gegenüber homosexuellen Männern und infizierten Menschen.

Folgende Dinge sind festzustellen.


Zur Sexualität

Ungeschützter Geschlechtsverkehr ist die natürliche Form des Umgangs, sowohl im heterosexuellen als auch im homosexuellen Leben. Der Gebrauch von Kondomen ist objektiv eine Einschränkung der sexuellen Erlebnismöglichkeiten. Ungeschützter Sexualverkehr ist im Leben auch das Natürliche. Dies muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen, um zu würdigen dass immer noch etwa 70% der schwulen Männer außerhalb ihrer Beziehungen Kondome benutzen, wie wir aus den Studien von Michael Bochow wissen. Dazu haben die Präventionsanstrengungen der AIDS-Hilfen und der positiven Community wesentlich beigetragen.


Zu den Zahlen und zu den Übertragungswegen

Die vom Robert Koch Institut veröffentlichen Zahlen über Erstdiagnosen sagen unmittelbar nichts darüber aus, wie viele Menschen sich im Berichtszeitraum infiziert haben. Sie geben lediglich Aufschluss über die Anzahl der positiven Testergebnisse – unabhängig vom Zeitpunkt der Infektion. Eine Korrelation zum Testverhalten findet nicht statt. Zur Zeit rufen sowohl die Deutsche Aids-Hilfe als auch Schwulenberatungsstellen zur HIV-Testung auf. Dies wird zu einem deutlichen Anstieg in der Statistik führen, ohne dass sich an der Zahl der Neuinfektionen tatsächlich etwas ändern würde, wobei auch wir davon ausgehen, dass die Zahlen tatsächlich steigen. Wir bedauern das und fordern weitergehende Anstrengungen, die Zahl der Neuinfektionen möglichst niedrig zu halten..
Es gibt zu respektierende Formen der ausgehandelten ungeschützten sexuellen Begegnung. Zum Aushandeln gehört die gleiche Augenhöhe und das unbedingte Respektieren benannter oder erkennbarer Grenzen und Schutzwünsche.
Wir halten es für falsch, wenn einzelne Aids-Hilfen ihren Mitarbeitern das Einstellen von Barebackprofilen ins Internet arbeitsvertraglich untersagen, statt deutlich öffentlich zu kommunizieren unter welchen Bedingungen ungeschützte sexuelle Begegnungen vertretbar sind.
In der Diskussion wird so getan, als ob sich die Neuinfektionen ausschließlich im Bereich von Sexparties schwuler Männer ereigneten. Damit geraten die anderen Übertragungsrisiken aus dem Blick. Nach wie vor gilt, dass Infektionen im Rahmen von Liebesbeziehungen und Partnerschaften stattfinden, im Rahmen von durchaus personenbezogenen Sexualkontakten, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Infektionen finden immer noch statt durch gemeinsamen Gebrauch von Spritzen.

Zu Präventionsstrategien

Aus der gesundheitswissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass das Arbeiten mit Angst oder Verboten für die Prävention ungeeignet ist Es hat aber Auswirkungen bis hin zu psychosomatischen Störungen.
Die wissentliche Weitergabe der HIV-Infektion erfüllt auch heute schon den Tatbestand der strafbaren Körperverletzung. Die Diskussion um die Strafbarkeit von bareback ist eine völlig überflüssige, da ja wohl niemand ernsthaft verlangen wird, sexuelles Verhalten, das keine gesundheitlichen Risiken birgt, zu bestrafen. Es drängt sich auf, dass die Moral und nicht die Gefährdung zum Maßstab gemacht werden soll.
Notwendig ist Information. Hier ist fest zu stellen, dass in unserer Republik, die ja Einwanderungsland ist, ganze Bevölkerungsgruppen für präventive Bemühungen abgeschrieben werden. Das gilt z.B. für gehörlose Menschen, für fast alle Migranten, also kurz für alle Gruppen, die massenmedial kaum erreichbar sind.
Notwendig ist die Zugänglichkeit von Schutzmöglichkeiten.
Das Streichen von Spritzenaustauschprogrammen im Strafvollzug trotz der Kenntnis, dass dort i.v. Drogengebrauch stattfindet, belegt, dass es der Politik selbst in Bereichen in denen sie völlig problemlos Änderungen herbeiführen kann, nicht um die Verhinderung jeder vermeidbaren Infektion geht.
Es ist erforderlich, dass die Betreiber sexueller Orte die angemessenen Schutzmittel zur Verfügung stellen. Erste schwule Betriebe, die sich in Vereinbarungen mit AIDS-Hilfen und Schwulenberatungsstellen dazu selbst verpflichtet haben, sehen wir als vorbildlich an. Nicht hinzunehmen sind staatliche Interventionen gegen solche Maßnahmen.
Hilfreich ist alles, was die ehrliche Kommunikation über Bedingungen der Sexualität fördert. Dazu ist ein möglichst repressions- und diskriminierungsfreies Klima erforderlich. Schädlich ist das Arbeiten mit falschen Bildern. Die Fokussierung auf Sex-Parties und das Verhalten positiver Menschen führt nicht weiter, da sie von anderen Risiken und Notwendigkeiten ablenkt. Statt selbst in Werbung zu investieren, sollte die Private Krankenversicherung lieber zielgruppenspezifische Präventionsprojekte unterstützen. Die bisherige Präventionsaktion (mit dem Bild geschwürbehafteter Pilze) zum WAT der Privaten Krankenversicherer erachten wir als schädlich.
Die Förderung der Kommunikationsfähigkeit durch Präventionskampagnen und Projekte kostet Geld. Es ist ein merkwürdiger Widerspruch zwischen der Aufgeregtheit der Diskussion, der angeblichen Nichthinnehmbarkeit von neuen Infektionen und einer seit Jahren laufenden ständigen Mittelkürzung für Prävention festzustellen. Im sexuellen Bereich wird von schwulen Männern deutlich vehementer als von Heterosexuellen verlangt, sich risikofrei zu verhalten.
Das Bestreben nach 100% Sicherheit im sexuellen Umgang widerspricht der selbstverständlich üblichen Hinnahme von Restrisiken in fast allen anderen Lebensbereichen - Stichworte hierzu sind Alkohol, fehlende Geschwindigkeitsbegrenzungen, Umweltrisiken etc.

Die Verantwortung der Positiven

Jeder ist immer für sein Verhalten verantwortlich. Da ist nichts teilbar. Selbstverständlich hat jeder sein Wissen in seine Überlegungen einzubeziehen und sich so zu verhalten, dass er am nächsten Tag ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel gucken kann. Das Problem scheint eher darin zu liegen, dass viel zu häufig angenommen wird, der andere denke, meine und fühle das gleiche wie man selbst und habe den gleichen Immunstatus. Deswegen sollte man weniger von Verantwortung und mehr von der Klarheit der Abstimmungsprozesse reden.

Zur Klarheit der Abstimmungsprozesse kann das Sozialverhalten an bestimmten Orten gehören. Wer sich zu einer Bareback party (Sexparty von Positiven für Positive) begibt, weiß, dass er dort auf infizierte Partner trifft.

Es ist darauf hinzuweisen, dass viele infizierte Menschen an Prävention durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement beteiligt sind.


Zu den Kosten

Es wird zunehmend die Kostenseite einer Infektion in die öffentliche Debatte geworfen, womit gleichzeitig die Solidaridargemeinschaft aufgekündigt werden soll. Dazu ist festzustellen, dass Krankheiten häufig Lebensstil assoziiert sind. Das gilt für den Manager mit Herzinfarkt, den Touristen mit Tropenkrankheiten ebenso wie den Sportler mit Sportverletzungen. Das gilt für Ernährungs- und Trinkgewohnheiten ebenso wie für Raucher oder aber für das weite Feld der Berufskrankheiten, bei denen es anscheinend billiger ist, die Behandlungskosten zu tragen statt durch gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu vermeiden.


Resumee

Je realistischer das Leben mit HIV dargestellt wird, um so leichter wird die ehrliche Kommunikation in konkreten Begegnungen darüber sein. Das Verhalten schwuler Presse, z.B. Männer Aktuell finden wir problematisch, weil statt einer realistischen Beschreibung der Lebenssituation infizierter Menschen eine unsinnige Debatte über neue Strafbestimmungen geführt wird. Auch ohne sich ernsthaft mit der Präventionsforschung zu beschäftigen, beginnen die LSU (Lesben und Schwule in der Union) auf ähnlich dumpf populistisch Weise das selbe zu fordern. Dieses Verhalten einzelner PolitikerInnen ist verantwortungslos und führt zur Entsolidarisierung. Es befördert, wovor zu schützen, es vorgibt.


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